Samstag, 30. April 2016

Leitlinie idiopathisches Parkinson Sydrom, Physiotherapie

Leitlinienbasierte Therapie bedeutet, dass bewährte, studienbelegte Therapie angewendet wird. Die Leitlinien können und sollten als "roter Faden" vor allem für Ärzte, als auch Heilmittelerbringer (Ergo- und Physiotherapeuten, Logopäden, Podologen sowie Masseure und med. Bademeister) dienen.
Sie beinhalten medikamentöse, operative und therapeutische Behandlungsmaßnahmen.
Heute konzentriere ich mich auf die Physiotherapie bei M.Parkinson.
Sie beinhaltet aber auch Ergotherapie und Logopädie.
Ebenso die Betreuung der Betroffenen durch speziell ausgebildetes Pflegepersonal.

Zitat aus S3-Leitlinie "Idiopathisches Parkinson-Syndrom"

"2.4.3
Physiotherapie im Vergleich zu medizinischer Standardtherapie bzw. Placebo
(AHP1)



Empfehlung 51:
Patienten mit IPS sollen Zugang zu physiotherapeutischer Behandlung haben. Besondere Schwerpunkte der Behandlung sind:
- Gangtraining,
- Verbesserung des Gleichgewichts,
- Kraft
- und Dehnungsübungen,
- Verbesserung der aeroben Kapazität,
- Verbesserung der Bewegungsamplituden,
- Verbesserung der Bewegungsinitiierung,
- Verbesserung der Mobilität und Selbstständigkeit bei Aktivitäten des täglichen Lebens,
- Training der Bewegungsstrategien,
- Sturzprävention.
A (1++)





Bei den meisten Patienten mit IPS kommt es durch die im langfristigen Verlauf auftretenden Störungen der Körperhaltung, des Gehens und des Gleichgewichtes trotz medikamentöser (und chirurgischer) Therapie zu starken Behinderungen und
negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität.
Damit kommt der Frage, ob durch nicht-medikamentöse Therapien Einfluss auf
die pharmako-refraktären Langzeitprobleme des IPS genommen werden kann,
große klinische Bedeutung zu.

Der Begriff Physiotherapie umfasst ein sehr breites Spektrum von Techniken, das neben klassischer Krankengymnastik zum Beispiel auch sportliches
Training, „Cueing“ (Verwendung von Hinweisreizen), Tanzen, Musiktherapie, Tai
Chi, QiGong sowie Laufbandtraining und andere gerätegestützte Ansätze beinhaltet.

Physiotherapie wird in der Regel als individualisierte Behandlung angewendet, die sich an den Beschwerden und den Funktions-, Bewegungs- bzw. Aktivitätseinschränkungen des einzelnen Patienten orientiert. Das Ziel ist die Wiederherstellung, Erhaltung oder Förderung der Beweglichkeit, dabei aber auch häufig Schmerzfreiheit, Wohlbefinden, Partizipation und Selbstständigkeit.
Als Ergänzung zur medizinischen Therapie hat aktivierende Therapie das
Potential, dem Betroffenen die Erfahrung zu vermitteln, selbst wirksam gegen die
Konsequenzen der Erkrankung aktiv werden zu können.

Während Physiotherapie lange Zeit weitgehend empirisch angewendet wurde, haben methodisch hochwertige Studien in den letzten Jahren die Grundlage für eine Bewertung nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten geschaffen.

In einer Metanalyse von 29 Studien fand das Cochrane-Institut 2012 signifikante Verbesserungen von Gehgeschwindigkeit, Gangblockaden, „timed-up and go“, Gleichgewicht und den Skalenwerten des UPDRS III nach physiotherapeutischer Intervention. Für Sturzhäufigkeit und Lebensqualität fanden sich keine signifikanten Besserungen. In neueren Studien wurde allerdings eine geringere Inzidenz von Stürzen nach Tai Chi und eine Besserung der Lebensqualität (gemessen mit der Parkinson's Disease Questionnaire
39 (PDQ-39-Skala) beschrieben.


Physiotherapie sollte in der Frühphase des IPS darauf ausgerichtet sein, der zunehmenden Bewegungsverarmung entgegenzuwirken. Besonders geeignet sind Trainingsverfahren, bei denen großamplitudige Bewegungen, Bewegungsrhythmus, und Schnelligkeit geübt werden.
Nordic Walking und andere sportliche Aktivitäten können hierfür eingesetzt werden. Das Therapieverfahren LSVT - BIG wurde spezifisch für die Verbesserung der
Bewegungsamplituden bei IPS-bedingter Bradykinese entwickelt.
In fortgeschrittenen Stadien des IPS ist Physiotherapie auf manifeste Störungen ausgerichtet, die nicht oder nur unzureichend durch die medikamentöse Einstellung beeinflusst werden. Empfehlenswerte Techniken sind z.B. das Training posturaler Reflexe ("Schubstraining") oder das Erlernen von Techniken zur Überwindung von Gangblockaden. Auch in schwersten Krankheitsstadien ist physiotherapeutische Behandlung, z.B. zur Verbesserung von Transfers und Vermeidung von Kontrakturen empfehlenswert.

Eine vergleichende Bewertung einzelner physiotherapeutischer Techniken ist problematisch, da die vorliegenden Studien mit heterogenen Populationen, Zielparametern und Nachbeobachtungszeiträumen durchgeführt und die Ergebnisse meist nicht von mehreren unabhängigen Studiengruppen reproduziert wurden. Die methodische Problematik eines sehr breiten und weiter wachsenden Spektrums an Behandlungsansätzen beinhaltet allerdings auch einen Vorteil für den klinischen Alltag: Anstelle eines „eine-Größe-für-alle“-Ansatzes, kann der Therapeut auf ein „Menü“ klinisch geprüfter Techniken zugreifen und ein den Bedürfnissen, Interessen und Präferenzen des Betroffenen angepasstes Programm auswählen.

Für kommende Studien besteht die Herausforderung, die positiven Effekte von
Physiotherapie auf quantitative Messungen und klinische Skalen durch
Patienten-relevante Parameter (insbesondere Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität wie PDQ-39) zu untermauern.

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2.4.9 Physiotherapie: Zeitdauer und Intensität (AHP7)

Empfehlung 64: IPS-Betroffene sollten in allen Phasen der Erkrankung Zugang zu einer zeitlich ausreichenden physiotherapeutischen Behandlung in Form einer Doppelbehandlung erhalten.
Expertenkonsens


Beim IPS liegt ausreichend Evidenz zur Effektivität physiotherapeutischer Maßnahmen vor. Jedoch konnte keine Evidenz zur Effektivität im Zusammenhang mit Frequenz und zeitlicher Dauer der Behandlungseinheit hergestellt werden.

Die Europäischen Physiotherapeutischen Leitlinien „1st European Physiotherapy Guidelines for Parkinson Disease“ gehen unter Punkt 7.5.4 auf diese Problematik ein und empfehlen, die Therapie problemabhängig, individuell und auf den Patienten abgestimmt zu gestalten.

Aufgrund der vielschichtigen Problematik der an IPS erkrankten Patienten gestaltet sich die physiotherapeutische Therapie sehr zeitaufwendig. Eine problemorientierte Therapie, die hier angezeigt ist, wie beispielsweise bei der posturalen Instabilität und der damit verbundenen Sturzgefährdung, erfordert ein Training mit hohen Wiederholungszahlen.
Dieser Umfang ist bei einer durchschnittlichen Behandlungszeit von 20 Minuten pro Einzelbehandlung nicht zu erreichen.

Besonders deutlich wird dies beim Training von Verhaltensänderungen und dem Erlernen
von kognitiven Strategien, um motorische Fähigkeiten zu verbessern. Die Empfehlungen der Europäischen Physiotherapeutischen Leitlinien liegen hier bei fünf mal 30 bis 60 Minuten wöchentlich."

Quelle: http://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2015/PDFs_Download/Konsultationsfassung_Idiopathisches_Parkinson-Syndrom/S3LL_iPD_Kurzfassung_DGN.pdf


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